Attachment Parenting im Familienalltag

 

Stillen, Tragen, Familienbett – das sind die Begriffe, mit denen viele Menschen Attachment Parenting verbinden. Ein Begriff, der unter den Eltern heute fast in aller Munde ist. Doch während es auf der einen Seite so einfach erscheint, werden auf der anderen Seite auch viele Fragen aufgeworfen: Wie alltagstauglich ist dieses Konzept? Was, wenn ich bestimmte Aspekte davon nicht erfüllen kann? Und ist Attachment Parenting der Garant für eine sichere Bindung des Kindes und ein glückliches Leben?

Wo kommt Attachment Parenting eigentlich her?

Geprägt hat den Begriff “Attachment Parenting” das amerikanische Ehepaar Martha und William Sears, die gemeinsam 8 Kinder haben. Der Kinderarzt und seine Frau, die Kinderkrankenschwester, Geburtsvorbereiterin und Stillberaterin ist, haben in den letzten zwei Jahrzehnten zu diesem Begriff Bücher und Artikel verfasst, Vorträge und Weiterbildungen gehalten. Sie sagen: Attachment Parenting ist eigentlich keine neue Bewegung, sondern die ursprüngliche Art, wie Eltern auf die Bedürfnisse ihrer Babys reagiert haben. Babys teilen ihre Bedürfnisse von Anfang an mit durch die Signale, die sie uns geben. Wenn wir Eltern lernen, diese Signale richtig zu interpretieren und darauf zu reagieren, ermöglicht das einen guten Bindungsaufbau und eine entspannte Elternschaft. Das Ehepaar Sears hat 7 Baby-B’s entwickelt, mit Grundzügen des Attachment Parenting: Bindung bei der Geburt, Stillen, das Baby tragen, Gemeinsames Schlafen, Gleichgewicht und Grenzen beachten, Glaube an das Weinen des Babys, Vorsicht vor Babytrainern.

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Die Organisation Attachment Parenting International hat diese ein wenig umgewandelt und 8 Prinzipien des Attachment Parenting aufgestellt:

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1.) Bindung beginnt bereits in der Schwangerschaft und unter der Geburt, weshalb eine achtsame Vorbereitung darauf wichtig ist.

2.) Liebevolle und respektvolle Ernährung: Stillen ist die normale und bevorzugte Ernährungsform für das Baby, die die Bindung unterstützen kann. Sollte nicht gestillt werden können, sollten Mahlzeiten ähnlich gestaltet werden.

3.) Feinfühlige Kommunikation mit dem Baby: Auf Bedürfnisse sollte prompt und angemessen eingegangen werden. Die emotionalen Bedürfnisse des Babys sollen ernst genommen werden.

4.) Körperkontakt ist von großer Bedeutung für Kinder und sowohl Hautkontakt als auch positiver Körperkontakt durch Stillen, Tragen, Massagen und gemeinsames Baden sind wichtige Aspekte der Alltags.

5.) Einen emotional und physisch sicheren Schlaf dadurch ermöglichen, dass das Baby in der Nähe der Eltern schläft, so dass die Bedürfnisse auch nachts wahrgenommen werden und Eltern darauf reagieren können.

6.) Liebevolle, konsistente Begleitung des Kindes: Am besten wird die Versorgung der kindlichen Bedürfnisse durch einen anwesenden Elternteil erreicht. Bei der Versorgung durch andere Personen ist es wichtig, dass eine gute Bindungsbeziehung aufgebaut wird und die Betreuung flexibel und stressfrei gestaltet werden kann.

7.) Positive Disziplinierung: Natürliche Grenzen ergeben sich im Alltag und werden ohne Bestrafung und respektvoll in den Alltag integriert.

8.) Eine gute Balance finden für die eigenen Bedürfnisse und die Familienbedürfnisse, denn alle Mitglieder des Systems Familie sind wichtig. Eltern brauchen ein Netzwerk, Unterstützung und Berücksichtigung ihrer persönlichen Bedürfnisse.

Ist Attachment Parenting alltagstauglich?

Diese 8 Prinzipien können Eltern eine Richtschnur geben und eine Unterstützung sein dafür, eine sichere Bindung zu ihren Kindern aufzubauen. Sie sollten jedoch nicht als Checkliste verstanden werden und sind als solche keine Garantie für ein glückliches Familienleben. Jede Familie hat eine andere Umgebung, andere Bedürfnisse und andere Rahmenbedingungen.

„Geborgenheit lässt sich nicht zwangsweise herstellen. Ist ein Kind im Tragetuch, muss es nicht unbedingt geborgen sein, auch nicht, wenn es mit Eltern undGeschwistern im Familienbett schläft. Und nur weil man sein Kind im Geburtshaus zur Welt bringt, hat man es nicht am geborgensten Ort der Welt geboren. Geborgenheit ist etwas, das wir mit unseren ganz eigenen Zutaten selbst herstellen. Es ist ein Familienrezept, das in jeder Familie ein wenig anders aussehen kann.”

(Zitat aus Geborgen wachsen: Wie Kinder glücklich groß werden)

Insgesamt sind die Aspekte des Attachment Parenting jedoch hilfreich, weil sie uns ermöglichen, die Bedürfnisse des Kindes wirklich in den Blick zu nehmen und unser Verhalten feinfühlig darauf auszurichten. Viele Eltern leben “Attachment Parenting”, ohne diesen Namen zu nutzen oder überhaupt zu benötigen. Sie reagieren selbstverständlich feinfühlig und (je nach Alter) prompt auf die Bedürfnisse des Kindes und stellen so die weichen für eine sichere Bindung. Je nach Familie wird dabei in der einen Familie vielleicht länger gestillt, in der anderen länger getragen oder auch weder das eine noch das andere, dafür aber körpernah und sensibel mit der Flasche gefüttert und auf die Bedürfnisse des Kindes achtend mit dem Kinderwagen geschoben.

Das Ziel für alle: Eine sichere Bindung des Kindes

Das Ziel von uns Eltern und auch das Ziel der Gesellschaft sollte sein, dass alle Kinder eine sichere Bindung haben können. Sicher gebundene Kinder können leichter lernen, leichter und besser Freundschaften aufbauen, sind emotional ausgeglicher und auch gesünder.

Ob das Kind eine sichere Bindung aufbaut, hängt von der Interaktion der Bindungspersonen mit dem Kind ab: Sind wir feinfühlig, reagieren wir prompt (je nach Alter), sicher und angemessen, ist die Basis für den Aufbau einer sicheren Bindung recht gut. Sind wir aber in unserem Verhalten schwankend oder gar ablehnend, wirkt sich das ebenfalls auf das Kind aus. Auch Kinder, die letztere Erfahrungen mit ihren Eltern machen, entwickeln eine Bindung an sie. Doch sie hat andere Auswirkungen darauf, wie das Kind die Welt erlebt, wahrnimmt und sich darin bewegt. Zwar sind Bindungsmuster nicht in Stein gemeißelt und wir können unser ganzes Leben daran arbeiten, sie zu verändern und sind auch mit vielfältigen Einflussfaktoren konfrontiert, doch ein einfacher Start ist schließlich das, was wir all unseren Kindern wünschen. Attachment Parenting beinhaltet eine Sichtweise auf das Kind, die einen solch einfachen und nachhaltig guten Start ermöglicht.

 

Über Julia

Über Susanne Mierau:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik), Autorin, Familienbegleiterin und Heilpraktikerin. Mit ihren drei Kindern lebt sie in Berlin und bloggt auf geborgen-wachsen.de über bindungsorientierte Elternschaft und achtsames Familienleben. Das Buch zum Blog „Geborgen wachsen – Wie Kinder glücklich groß werden“ ist 2016 im Kösel Verlag erschienen.

 



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