Wenn das Schulsystem nicht zum Kind passt – oder das Kind nicht ins System

Schulsystem


Die Regelschule schmeckt leider nicht jedem. Denn sie lässt kaum Raum für die Entwicklung von Kindern, die nicht so gut ins übliche Schulsystem passen.
Der 2019 erschienene Film „Systemsprenger“ lieferte ein Paradebeispiel dafür und zeigte, wie schwer es betroffene Kinder und Eltern haben, einen geeigneten Schulplatz zu finden. Und diese oder ähnliche Schicksale sind in Deutschland gar nicht so selten. Wie steht es um die Inklusion in Schulen? Wie sieht die Realität wirklich aus? Papa und Blogger Kevin Silvergieter lässt uns an seinen Erfahrungen mit seinem Sohn teilhaben und beschreibt, wie sie eine passende Schule für den Kleinen gefunden haben. Wir finden diesen Einblick ganz wunderbar und hoffentlich auch bestärkend für andere, am Thema dran zu bleiben und weiter für die Rechte ihrer Kinder zu kämpfen.

Als unser Sohn zu uns kam, konnte er nicht sprechen. Damals war er 3,5 Jahre alt. Dass er somit einen schwereren Weg vor sich hatte, war mir schon irgendwie klar. Wie schwer es ihm aber am Ende unser Schulsystem machen würde, konnte ich mir damals nicht ansatzweise vorstellen.

Manchmal scheitert der Erfolg am Schüler-Lehrer-Verhältnis

Ich hatte einen unbeliebten Französischlehrer, einen Englischlehrer, der beim „th“-Aussprechen, alle im Umkreis von einem Meter vollspuckte, und eine Mathelehrerin, die einmal das Hausaufgabenblatt meiner Tischnachbarin zerknüllte, weil dieses ihr nicht ordentlich genug geschrieben war. Für mich war der Erfolg in der Schule auch immer ein Stück weit an das Schüler-Lehrer-Verhältnis geknüpft. Trotz Lehrer, die ich nicht mochte oder mit denen ich nicht zurechtkam, passte ich aber ins Schulsystem. Zumindest irgendwie. Ich kam durch die Schule und machte so mein Ding. Mathe und Französisch waren nie meine Stärken. Sicherlich lag das auch ein Stück an den Lehrern. Vor allem natürlich auch daran, dass Mathe und Französisch eben nicht zu meinen Stärken zählten. Also konzentrierte ich mich auf meine Stärken und machte am Ende mein Abitur. Ich konnte aber auch mit 3,5 schon altersgemäß reden.

Manchmal ist das ganze System Grundlage für Misserfolge

Dass sich am Ende für unseren Sohn nicht einzelne Lehrer oder eine bestimmte Schule, sondern ein ganzes System als herausfordernd erweisen sollte, hätte ich nicht erwartet. Da war doch dieses Ding mit der Inklusion… Dadurch sollen doch Kinder, die zum Beispiel eine Behinderung haben oder eben nicht der Norm entsprechen, im Regelschulsystem eingegliedert werden. So dachte ich zumindest immer – denn immerhin war bei mir in der Mittelstufe der Gesamtschule ein blindes Mädchen mit Schulbegleitung. Sie hatte ihren eigenen Laptop und einen besonderen Tisch. Dass es aber neben der Unterteilung in Haupt-, Real- und Gymnasialschule noch Förderschulen gab, wusste ich lange nicht. Sicher hatte ich mal von der „Sonderschule“ gehört. Aber da gingen ja wirklich nur die schwer erziehbaren Kinder hin.

Schulsystem

Wie findet sich die passende Schule fürs Kind?

Erst als unser Sohn ins Grundschulalter kam und wir wussten, dass es mit der Regelschule schwer für ihn werden könnte, suchten wir nach Alternativen. Schnell sind wir auf eine Sprachförderschule gestoßen. Aber auch einen privaten Schulträger, der auf Inklusion spezialisiert ist, schauten wir uns näher an. Als „nicht beschulbar“ wurde unser Sohn abgelehnt, derweil ein Mädchen mit Downsyndrom eine Zusage bekam. Zu unserem Glück hatten wir jedoch direkt um die Ecke tatsächlich eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache entdeckt. Doch der Andrang war und ist groß und die Anzahl der Kinder, die schon im Einschulungsalter waren, zu hoch. Also wurde unser Sohn – bei uns zuhause gut aufgehoben und gefördert – erst ein Jahr später mit sechs in die Vorklasse der Sprachförderschule eingeschult. Wir hatten wirklich Glück: Wir haben einen der begehrten Plätze bekommen! Weniger Kinder in einer Klasse, mehr Fördermöglichkeiten – und somit mehr Chancen für ihn.

Das Glück der richtigen Förderung

Wir sind dafür so dankbar, denn die 40 Kinder der Kindertagesstätte mit offenem Konzept taten unserem Sohn nicht gut. Wenig klare Abläufe und somit für ihn eben auch kaum Sicherheit. Zum Beispiel die freie Wahl der Tagesaktivität im Morgenkreis war für unseren Sohn nicht die optimale Lösung. Ich glaube, das offene Konzept in Kitas ist für viele regelentwickelte Kinder eine super Möglichkeit, Eigeninitiative und Selbstverantwortung zu erlernen. Für Kinder, die viel Anleitung und Hilfe brauchen, birgt dieses Konzept aber die Gefahr unterzugehen. Oft zog er sich zurück und hatte wenig Bezug zu den anderen Kindern. Trotz Integrationskraft, die einfach auf alle Kinder aufgeteilt wurde, fiel es unserem Sohn schwer, mit der Freiheit aller Wahlmöglichkeiten zurecht zu kommen. Umso schöner war dann die kleine Vorschulklasse mit insgesamt acht Kindern. Viel Anleitung, klare vorgegebene Abläufe mit Raum fürs Freispiel. Und endlich war er nicht mehr das schwarze Schaf in einer Herde weißer Schafe, sondern er war eines von vielen schwarzen Schafen.

Doch was wird die Zukunft bringen?

Und genau an dieser Schule ist unser Sohn noch immer. Noch. Denn seine sprachlichen Baustellen lösen sich mehr und mehr auf. Somit kann es sein, dass er nach der zweiten Klasse diese uns so geliebte Schule verlassen muss. Denn weitere Kinder warten. Und so soll Inklusion ja funktionieren. Kinder mit Defiziten, egal in welchem Bereich, sollen auf die Regelschule vorbereitet werden. So die Hoffnung. Natürlich wird kein Kind, dass noch nicht bereit dafür ist, auf die Regelschule weitergeführt. Und doch gibt es eben gewisse Punkte, die für den Verbleib an einer Sprachheilschule gewährleistet sein müssen. Wie der Name sagt, geht es bei einer Sprachförderschule um Sprache. Da unser Sohn sich sprachlich so toll entwickelt, wird dieser Punkt bald nicht mehr erfüllt sein. In einer Klasse mit 25 Kindern sehe ich unseren Sohn trotzdem nicht. Ob unser Sohn in etwas über einem Jahr dann wirklich bereit für die Regelschule ist oder wir eine andere Förderschule für ihn finden müssen, wird sich im nächsten Schuljahr zeigen.

Inklusion – ein Traum, der hoffentlich irgendwann in Erfüllung geht

So oder so empfinde ich die Umsetzung von Inklusion im Schulbereich als mangelhaft. Und das liegt in unserem Fall nicht an der Förderschule, sondern am System selbst. Die Regelschulen sind nicht darauf vorbereitet, die Lehrkräfte nicht dafür ausgebildet und die meisten Schulen nicht wirklich darauf eingestellt. Nicht weil sie es nicht wollten, sondern weil Inklusion tatsächlich eben immer noch nicht stattfindet. Wir möchten das zwar alle, aber die Realität ist leider eine andere. Dafür sind die Klassen zu groß, die Anforderungen hoch und Chancen, Rücksicht auf die Schwächeren zu nehmen, kaum da.

Ich glaube, Inklusion ist nur dann möglich, wenn unser Regelschulsystem sich ändert. Dafür bräuchten wir Klassen mit weniger Schülern und zusätzliche sowie entsprechend ausgebildete Lehrkräfte. Der Unterricht müsste viel interaktiver zwischen den Schüler ablaufen. Es bräuchte eine Grundphilosophie von Gemeinschaft und Unterstützung. Dann, ja dann könnte ich mir Inklusion an Schulen tatsächlich vorstellen.

Wie gut kommt Ihr Kind in der Schule zurecht? Begegnen Sie ähnlichen Herausforderungen? Lassen Sie uns doch via Kommentar an Ihren Erfahrungen teilhaben.

Über Kevin Silvergieter

Auf seinem Blog Papapi schreibt Kevin über sein Leben als Ehemann, Schauspieler und Papa von zwei Kindern. Er berichtet vom alltäglichen Wahnsinn in einer völlig normalen Familie und erklärt den Unterschied zwischen Papa und Papi. Auf Instagram kann man Kevin ebenfalls folgen.





Kommentare
  1. Wenn das Schulsystem nicht zum Kind passt – oder das Kind nicht ins System
    Joseph Carlos | Samstag,Juli 25.2020

    Hi, super interessanter Beitrag. Hat uns echt weitergeholfen.

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