Weshalb Entlastung für Familien kein Tabuthema sein darf

Vor einiger Zeit hatte ich mich gefragt, ob es in Ordnung ist, nach Entlastung zu suchen, wenn ich drei Kinder habe. Ich kam dabei für mich auf eine klare Antwort: Ja, natürlich! Entlastung ist immer okay – sei es mit einem, zwei oder mehr Kindern. Dachte ich jedenfalls. Die Reaktionen auf meinen Beitrag waren ernüchternd, teilweise erschreckend. Weshalb? Weil sie zeigen, wie wenig Verständnis Eltern für andere Eltern aufbringen.

Ich habe damals nach mehreren entlastenden Lösungen gesucht und diese auch vorgestellt – darunter waren auch Ansätze wie Tageseltern oder die Kita – buuuhuu, böse! Viele Leser zeigten sich empathisch und verstanden den Wunsch nach Hilfe. Doch nicht alle Leser waren so mitfühlend:

“Wie wäre es mit selber kümmern? Dann fällt auch das Geld für die Tagesstätte weg?!”

“Wie du sagst, WIR haben uns unsere Kinder ausgesucht, wenn man das als so belastend ansieht, dann sollte man sich eine Katze zulegen und kein Kind.“

“Ich sehe die Kinderbetreuung in erster Linie, damit Eltern wieder arbeiten gehen können. “

Was ist hier los?

Uff. Also… Katzen statt Kinder? Man darf die Erziehung der Kinder nicht als belastend ansehen, ist also immer eitel Sonnenschein bei denen zuhause oder was? Nur “richtig” arbeitende Eltern haben ein Recht auf Entlastung? Es ist ja das Eine, einfach anderer Meinung zu sein. Aber die Kommentare, die hier teilweise zustande kamen, waren jenseits von Gut und Böse. Die waren einfach schlimm. Mutterbashing vom Feinsten – und das unter Müttern. Solidarität kennt man hier nämlich nicht.

Ich erlebe Mütter (Und ja, ich sage explizit Mütter, denn Väter erlebe ich nicht so.) oftmals als neiderfüllt, bösartig und überheblich. Sie scheinen sich nichts zu gönnen, stehen im ständigen Wettbewerb miteinander und versuchen, sich alle gegenseitig den Rang um die “Beste Mutter” abzulaufen. Das ist meine Quintessenz aus bisher sechs Jahren Muttersein in den sozialen Medien. Und das ist so so schade!

Das bisschen Haushalt…

Für viele Menschen – auch andere Mütter – hat Care-Arbeit nicht den gleichen Stellenwert wie einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. “Das bisschen Haushalt und Erziehung” – das ist ja nichts wert. Blödsinn! Wenn ich acht Stunden zuhause bei den Kindern bin und nebenbei den Haushalt schmeiße, hat diese Arbeit den gleichen Wert, wie die meines Mannes, der 8 Stunden im Büro sitzt und Netzwerke aufbaut. Leider nicht auf dem Papier – ja ich weiß. Denn ich bekomme de facto keinen müden Cent für meine geleistete Arbeit (Ich ignoriere mal das Kindergeld, denn für 200 Euro im Monat arbeitet niemand Vollzeit.). Das ist das Hauptproblem, weshalb Care-Arbeit so wenig Wertschätzung und Ansehen erhält. Geld regiert die Welt. Verdienst du nichts, bist du nichts.

Zum Glück sieht mein Mann das anders und sieht unsere Arbeit als absolut gleichwertig an – er bringt sich auch nach Feierabend so gut es geht mit ein und erwartet keinesfalls, dass er abends “seine Ruhe” hat. Denn Elternsein ist ein 24/7-Job. Für Alle!

Jeder braucht ein kleines Dorf

Aber kein Mensch kann wirklich 24/7 arbeiten. Auch Eltern nicht. Dazu gibt es ja auch das sogenannte “Dorf”, dass sich Eltern schaffen sollten, um Entlastung und Unterstützung zu erfahren. Jede Familie setzt sich ihr Dorf so zusammen, wie es geht. Oft sind die Großeltern oder andere Teile der Familie involviert, Paten oder sehr gute Bekannte. Die Nachbarn oder vielleicht auch einfach andere Eltern, die aus Kita oder Schule bekannt sind.

Es gibt aber auch Menschen, denen fehlt dieses soziale Netz. Da wohnt die Familie weit weg oder ist einfach gar nicht existent. Da finden einfach keine Gleichgesinnten zueinander oder man ist einfach selbst sehr introvertiert und hat Probleme damit, Kontakte zu knüpfen. Das alles ist OK!

Entlastung

Individuelle Entlastung für Familien

Da bleiben dann eben andere Möglichkeiten übrig. Man bezahlt für das Dorf – wenn’s denn geht. Und das kann man sich ebenfalls bunt zusammenstellen: eine Leihoma, der Wellcome-Service für Babyeltern, ein Babysitter, eine Haushaltshilfe, betreute Spielgruppen, ein Au-pair, eine Tagesmutter oder vielleicht auch die Kita. Für jede Familie sollte es die Entlastung geben, die sie sich wünscht und braucht. In der Theorie ist es auch so. Die Praxis sieht leider ganz anders aus…

Für jede Familie kann die Entlastung anders aussehen. Für uns sollte es einst eine Tagesmutter für maximal 12 Stunden pro Woche sein. Auch wenn ich darauf laut einiger Mütter kein Anrecht habe, denn immerhin “arbeite” ich ja nicht richtig. OK, die Betreuungsplatzproblematik ist ätzend und belastet Familien auch sehr stark. Dies auf dem Rücken anderer Eltern auszutragen, statt sich zu solidarisieren und gemeinsam für bessere Bedingungen zu kämpfen, finde ich aber mehr als armseelig. Naja, und schade.

Entlastung: Fehlanzeige

Leider hat es bei uns mit der geplanten Entlastung nicht geklappt: Unsere Zweijährige hat keine Tagesmutter bekommen und die Große hadert sehr mit der Schulbetreuung. Leihomas sind sehr rar und wir stehen auf einer langen Warteliste. Die Haushaltshilfe wurde mit 12 Stunden je Woche genehmigt und kommt nun bis zur Geburt unseres dritten Kindes – und danach? Einen regelmäßigen Babysitter aus eigener Tasche zu bezahlen, wird schnell sehr teuer – also auch hier Fehlanzeige.

Muss ich es jetzt dann doch allein schaffen? Weil ich sonst eine schlechte Mutter bin? Weil “gute Mütter” die Belastung allein packen? Ehrlich gesagt, kann ich da nur müde lächeln. Jede Familie ist individuell, hat individuelle Ansprüche, individuelle Lasten. Wir können nicht in die Köpfe der anderen sehen, nicht jede Motivation auf Anhieb verstehen. Wir können nur irgendwie versuchen Verständnis aufzubringen – was manchmal nicht leicht ist, das gebe ich offen zu. Auch ich verurteile manchmal zu schnell, muss mich darauf besinnen, dass meine Kraft nicht die der anderen ist. Und das muss man sich immer wieder vor Augen halten, denke ich.

Jeder hat eine Leiche im Keller

Klar, es gibt Mütter die posaunen laut heraus, dass sie alles alleine schaffen. Eins, zwei, drei, drölfzig Kinder, Haushalt, ein großer Garten, drei Hunde und vielleicht arbeiten sie nebenbei noch, haben großartigen Sex mit ihrem Ehemann und überhaupt. Sie bewältigen alles allein. Aber ganz ehrlich. Auch die haben ihre Leichen im Keller.

Was ich meine? Ich erkläre es anhand eines Beispiels: In meinem Umfeld gibt es viele „perfekte“ Familien. Doch auch da läuft etwas nicht. Zumindest aus meiner Perspektive heraus. Und sei es nur, dass sie in der Erziehung vielleicht ganz anders ticken und sehr viel ressourcensparendere Strategien anwenden, wie Bestrafen oder Drohen. Das sehe ich nämlich oft: Eltern die vorgeben alles im Griff zu haben, ihre Kinder aber manipulieren, statt liebevoll zu begleiten: Kindern zu drohen, um sie “funktionieren” zu lassen. Strafen anwenden, um erwünschtes Verhalten zu erzwingen.

Konditionieren fiele mir auch leichter

Würde ich auch auf diese Maßnahmen zurückgreifen – ja, dann würde ich den Alltag wohl auch allein bewältigen. Denn es IST so sehr viel einfacher – zumindest wäre es das für mich. Kein Begleiten, kein Trösten, kein Verstehen – einfach Befehlen und Gehorsam erwarten. Wenn das nicht passiert, bestrafen. Mit Angst arbeiten. Boah, wäre das toll! (Ironie). Ich sage “Sitz” und mein Kind macht das auch noch!

So sieht mein Alltag nur nicht aus. Ich investiere eine Menge Kraft, um meinen Kindern halbwegs auf Augenhöhe zu begegnen, mache mir immer wieder Gedanken, wie wir unsere Beziehung zueinander verbessern und stärken können, was ich an mir ändern kann, damit mir eine achtsamere, liebevollere und zugewandtere Erziehung gelingt. Würde ich das nicht machen, hätte ich so viel mehr Kraft übrig. JA!!! Aber da ist eben jede Familie individuell. Jede Mutter teilt sich die Kraft anders ein, setzt andere Prioritäten, hat andere Lasten zu tragen. Ich setze sie dafür ein, zu reflektieren und geduldig zu sein. Und leider auch über meine Grenzen hinaus zu gehen (woran ich ebenfalls arbeite).

Die Arbeit an mir kostet Kraft

Dieser Weg kostet mich viel Kraft, da ich selbst anders groß geworden bin: Gewalt, Drohungen, Strafen. Das ist so fest in mir verankert, dass ich immer wieder mit meinem inneren Kind aneinander gerate und gegen mich selbst kämpfen muss, um meinem Kind so zu begegnen, wie ich es mir als Mutter wünsche. Das kostet Kraft. Enorm viel Kraft. Und darum brauche ich wiederum Entlastung an anderen Stellen, damit ich genug Kraft aufwenden kann, um die Mutter zu sein, die ich mir wünsche.

Und das ist OK. Ganz egal, was Internetmuttis dazu sagen. Jede Mama, die Hilfe sucht und damit eingesteht, dass sie diese braucht, ist eine tolle Mama. Jede Mama, die ein Dorf braucht, um ihre Kinder liebevoll zu erziehen, ist eine tolle Mama. Jede Mama, die alles gibt und ihre Kinder ohne Gewalt großzieht, ist eine tolle Mama. Mamas, die alles allein schaffen, sind auch tolle Mamas – keine Frage. Wenn sie das allerdings auch von allen anderen erwarten, ohne hinter die Fassade zu schauen, und sie abwerten, ihnen Katzen statt Kinder empfehlen, wenn sie Hilfe in Anspruch nehmen (möchten), dann sind sie – auch – einfach nur unempathische Dummschwätzer.

Jede Familie entscheidet für sich, was sie braucht

Es gibt einige Themen, da lasse ich auch nicht mit mir reden: Sicherheit, Gewalt und Gesundheit. Da bin ich ziemlich unnachgiebig, das stimmt. Es gibt für mich keine Billigautositze, Gewalt gegen Kinder (emotional wie auch körperlich) ist tabu und Globuli ersetze ich direkt durch günstigere Smarties. Doch bei allen anderen Themen gibt es so viele Wege, so viele Perspektiven und Vorgehensweisen – da gibt es kein „richtig“ und kein „falsch“. Wer es allein schafft – prima. Wer Hilfe – von wem auch immer – braucht, auch prima. Wichtig ist, dass Kinder ohne (körperliche UND seelische) Gewalt, sondern mit Liebe groß werden. Egal von wem. So einfach ist das.

Wie das umgesetzt wird, darf und sollte jede Familie für sich entscheiden. Und andere Eltern sollten einfach versuchen das zu akzeptieren, auch wenn es auf den ersten Blick schwer fällt. Wir wissen nie, was die Menschen um uns herum im Herzen tragen. Wir können die Lasten nur erahnen und haben kein Recht zu verurteilen. Und schon gar nicht, die Kinder abzusprechen. In diesem Sinne: Mehr Solidarität, weniger Gewalt untereinander, mehr Liebe für die Kinder – dann läuft es schon irgendwie.

    Über Yasmin Neese

Yasmin ist Online Managerin in Elternzeit. Während sie tagsüber viel Zeit mit ihren beiden Mädels (6 & 2) verbringt, arbeitet sie nachts als Redakteurin für diverse Onlinemagazine und ihren tollen Blog „Die Rabenmutti“. Als Familienbloggerin mischt die 31-Jährige die Szene mit ihrer offenen, authentischen und manchmal flapsigen Art gehörig auf. Sie bloggt rund um (bedürfnisorientierte) Erziehung, Rezepte, Reisen und Literatur. Sonntags schläft sie am liebsten im Familienbett aus, ist begeisterte „Tragemami“ und reiht sich nun auch in die berüchtigten „Langzeitstiller“ ein. Durch ihr chaotisches Wesen ist jeder Tag aufs Neue ein Abenteuer für sie, ordentlich ist bei ihr nur die Küche. Wer sie kennen lernen möchte, kann gern in ihren Sozialen Profilen stöbern oder kommt auf ein Stück Kuchen vorbei!




Kommentare
  1. Weshalb Entlastung für Familien kein Tabuthema sein darf
    Denise | Freitag,Januar 10.2020

    Ich bin etwas sprachlos. Ich habe Kinder und teile den Eindruck bzw diese heftige Behauptung überhaupt nicht. Warum sollte Entlastung für Eltern ein Tabuthema sein? Ist es nicht. Sicher gibt es in Social Media auch kritische Kommentare, wie im wahren Leben auch. Wir teilen nicht alle eine Meinung und eine Sichtweise. Zu 99% lese ich aber konstruktive Kritik, einen Austausch und Ideen. Teilweise ist es eben vielleicht auch die Frage, inwieweit man Dinge auf die Goldwaage legt und sich angegriffen fühlen möchte, wenn jemand nachfragt oder Vorschläge macht. Ich lese eher hier im Beitrag Bashing von Eltern, die nicht dieser interessanten Variante von Attachment Parenting folgen. Pauschal werden Eltern verurteilt, die Grenzen setzen, für sich und für ihr Kind. Das wird dann Konditionierung genannt oder bei Twitter wird betont, das eigene Kind sei „kein Roboter“. Wenn man andere angreift, ist es vielleicht wenig verwunderlich, wenn dann als Reaktion auch mal kritische Kommentare kommen.Ich habe es weder in meinem eigenen Leben, bei Freundinnen noch bei Twitter jemals gelesen, dass irgendwer irgendeine Mutter kritisiert oder verurteilt, weil sie Unterstützung sucht. Egal, ob sie Vollzeit arbeitet, Teilzeit oder Zuhause ist und Vollzeitmama. Aber solche Artikel sind natürlich klickwürdiger, wenn man sich gegen angebliche Angriffe verteidigt und dabei die Erziehung anderer Eltern als es sich leicht machen verurteilt. Statt zu sehen, dass es verschiedene Meinungen dazu gibt. Wir leben in einem sozialen Gefüge mit anderen Menschen. Jeder Mensch, ob Kind oder Erwachsener hat Rechte und die muss man situativ abwägen. Ein Miteinander braucht Spielregeln, teilweise implizit und manche explizit. Alles Gute und viel Glück beim der Suche nach der für Eure Familie passenden Entlastung. Denn dafür hast du mein vollstes Verständnis!

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