Darf man vor Kindern lügen?

 

In der Kita meines Sohnes wird am Ende jedes Kita-Tages noch eine Geschichte vorgelesen und nicht selten reden die Kinder dann noch ein bisschen über das eben Gehörte. Um die Runde durch uns abholende Eltern nicht dauernd zu stören, warten wir – durch einen Vorhang vom Kinderbereich getrennt – auf unsere Kinder und werden dort so manches Mal Zeuge unfreiwillig lustiger Konversationen.

 

„Meine Mama war auch im Gefängnis!“

Vor circa zwei Jahren sitze ich also auf der anderen Seite des Vorhangs und lausche. Es geht in der Geschichte um einen Großvater, der vom Krieg erzählt. Ein Kind meldet sich zu Wort: „Mein Ur-Opa war damals im Krieg im Gefängnis!“ Da ertönt plötzlich die für mich unverkennbare stolz auftrumpfende Stimme meines kleinen Sohnes Piet: „Meine Mama war auch schon im Gefängnis!“

Hochrot versuchte ich nach dem Öffnen des Vorhangs klarzustellen, dass diese Geschichte natürlich nur auf die überdurchschnittlich stark ausgeprägte Phantasie meines Sohnes zurückzuführen sei und hoffe bis heute, dass ich es geschafft habe, auch den letzten Zweifel an meiner Version der Geschichte auszuräumen.

Und natürlich habe ich danach ein ernstes Wörtchen mit meinem damals 4-jährigen Sohn darüber gesprochen, dass man immer die Wahrheit sagen muss!

Du sollst nicht lügen!

Wie die meisten anderen Eltern versuche auch ich meinem Sohn beizubringen, wie wichtig es ist, ehrlich zu anderen zu sein. Aber seien WIR doch mal ehrlich: Lügen wir nicht selbst unsere Kinder ständig an? Wir tun es, weil diese kleinen Flunkereien manchmal wichtig sind fürs Zusammenleben: viereckige Augen, das Eis ist leider alle, der Spielplatz hat schon zu, wir sind gleich da… Wer von Ihnen hat wirklich noch nie auf solche Phrasen zurückgegriffen?

Im Englischen gibt es sogar einen Begriff für Eltern, die häufig die Unwahrheit erzählen, das sogenannte „Pinocchio Parenting“: Lügen sind notwendig, um Zeit für sich zu gewinnen, um Kinder dazu zu bringen, ungeliebte Dinge zu tun oder einfach ihre Unschuld zu bewahren. Dies entspricht unserem alltäglichen Verhalten: Studien zeigen, dass wir in jeder fünften sozialen Interaktion flunkern. Wir belügen unsere Partner, unsere Freunde und Kollegen. Wir sagen häufig genug die Unwahrheit in jeder denkbaren Situation, warum also nicht auch unseren Kindern?

Die amerikanischen Psychologen Gail D. Heyman und Kang Lee sind dieser Frage nachgegangen und kamen in Ihrer Studie zu einem klaren Ergebnis: Vier von fünf Müttern und Vätern leben bei der Erziehung einen Hang zur Unwahrheit aus. Von den fast 200 befragten Eltern gaben mehr als 80 Prozent an, dass sie ihre Kinder belügen.

Wie oft habe ich meinem Sohn schon bedenkenlos irgendwas erzählt: Freunde, die er unbedingt treffen will, sind plötzlich im Urlaub, der Angry Birds Film läuft nicht mehr im Kino und der Weihnachtsmann macht gerade Winterschlaf am Südpol. Oder noch schlimmer: Letztens habe ich ihn dazu ermutigt, sich im Zug ein Jahr jünger zu machen, falls der Schaffner ihn fragt, nur, weil ich vergessen hatte, eine Fahrkarte für ihn zu ziehen.

Was machen kleine und große Lügen mit meinem Kind?

Danach fühlte ich mich schlecht. Denn mein Sohn musste doch von der Situation komplett überfordert sein: Auf der einen Seite soll er nicht lügen, auf der anderen Seite zeigt sich seine Mutter als perfekte Betrügerin. Wie klein und unbedeutend die Lüge ist, wird er vermutlich noch gar nicht einschätzen können. Auch wenn meine Lügen niemandem wehtun und häufig sogar eher dazu dienen, meinen Sohn zu beschützen, welche Auswirkungen haben Sie letztlich auf Ihn?

Denn Kinder sind nicht so einfach hinters Licht zu führen wie wir manchmal glauben: Sie spüren oft, wenn etwas nicht stimmt. Und spätestens ab dem Schulalter können auch Kinder zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden. „Werden Eltern von ihren Kindern beim Flunkern ertappt, kann das schnell zu einem Vertrauensverlust und einem Problem in der Familie führen“, warnt Kinderpsychologe Michael Thiel (48) aus Hamburg.

In einem solchen Fall ist es ratsam, die Lüge sofort zuzugeben und dem Kind zu erklären, warum Sie gelogen haben und dass es nicht in Ordnung war. Und ab einem gewissen Alter sind Kinder auch in der Lage, schwerwiegende Lügen von solchen Lügen zu unterscheiden, die zum Schutz oder aus Rücksicht für die Gefühle anderer eingesetzt werden. Oder eben von jenen kleinen Flunkereien, die uns Eltern den Alltag erleichtern. Aber ungelogen: Lügen Sie nicht zu viel, das färbt ab.

 

Hand auf’s Herz: Wie halten Sie es zu Hause mit der Wahrheit? Greifen Sie auch ab und zu mal zu einer Notlüge?  Wie sieht es aus mit Zahn- und Schnuller-Fee? Ich freue mich auf Ihre Kommentare!

Über Julia

Über Julia:
Julia arbeitet seit 2012 in der Unternehmenskommunikation von Betreut.de. Nach ihrem Publizistik-Studium zog es die Frankfurterin nach Berlin. Nach verschiedenen Jobs im Bereich Film-PR verabschiedete sie sich 2009 in die Elternzeit. Heute betreut sie statt Filmen ihren sechsjährigen Sohn und nimmt sich in ihrer Freizeit immer wieder vor, mehr Sport zu treiben.




Kommentare
  1. Darf man vor Kindern lügen?
    Heidi | Donnerstag,August 11.2016

    Das große Gebiet der Lügen ist ein weites Feld. Vor Jahren begegnete mir der Satz: Alles was Du sagst, muß wahr sein – aber nicht alles was wahr ist, mußt du sagen.Dieser Satz, wurde für mich zur Maxime. jedes Kind ist unterschiedlich und ein Kind kann mit der nach vielen Jahren korrigierten Lüge umgehen, für ein anderes Kind ist die Lüge dann ein unwiederbringlicher Vertrauensbruch – begangen von einer Vertrauensperson.Ich halte das so; bei uns gibt es ein „Gefahren-Stop“ sowie ein „Hör auf-Stop“. Die Regel des „Hör auf Stop“ beinhaltet, das Unerwünschte wird jetzt nicht geklärt oder nur altersentsprechend vermittelt. Am Anfang war es ein harter Kampf, vor allem für mich war es schwer den kurzen kindlichen Enttäuschungen zu begegnen.Es ist leicht zu sagen, im Kühlschrank ist kein Eis mehr, wenn das Kind es nicht kontrollieren kann, es auch keine größeren Geschwister oder, oder gibt – die die Lüge auffliegen lassen können. Ich sage dann: Eis ist ganz lecker, jetzt passt es nicht (weil schon zu viel Eis gegessen, Schlafenszeit bevorsteht, Zähne schon geputzt sind, usw.) Wenn dann ein Wutanfall kommt, ist er kurz im Vergleich zu eventuellen Wutanfällen von Pubertierenden. Eines lernt das Kind, nicht jeder Wunsch wird sofort erfüllt, also Vorfreude auf den Moment wann es passt. Im Erwachsenenalter brauchen wir diese Fähigkeit, die dann zur Frustrationsgrenze mutiert, auf jeden Fall und udas kindliche Vertrauen, daß die Eltern an unserer Seite stehen und nach bestem Wissen und Gewissen handeln – begründet wiederum das Verständnis bzw. Verzeihen unserer tatsächlichen ungewollten Fehler, die Eltern aus Liebe immer mal passieren.

  2. Darf man vor Kindern lügen?
    Elfrieda Rittinger | Donnerstag,August 11.2016

    Mann sollte überhaupt nicht Lügen. Umschlimmer vor Kinder.Ich sehe da keine Notwendigkeit.Es geht auch sehr gut immer bei der Wahrheit zu bleiben.Man sollte nicht hart ausdrücken aber dabei bleiben.

  3. Darf man vor Kindern lügen?
    Katarina bartalova | Donnerstag,August 11.2016

    Nein

  4. Darf man vor Kindern lügen?
    Krishna | Donnerstag,August 11.2016

    Frau Julia, Sehr gut geschrieben und sehr hilfreiche information. Habe Ich was gelernt . Danke.Besten gruss, Krishna

  5. Darf man vor Kindern lügen?
    Torsten Blaufuß | Donnerstag,August 11.2016

    Hey,nein, man darf vor Kindern nicht lügen! Da Erwachsene als Vorbilder fungierende Personen den Kindern dienen. Und wer dieses tut, sollte sich keine Kinder Anschaffen!!!Mit sehr freundlichen grüßenTorsten Blaufuß

  6. Darf man vor Kindern lügen?
    Eschelbach | Freitag,August 12.2016

    Dieser kurzer Beitrag sollte einigen Menschen die Augen öffnen.Mit freundlichen GrüssenEschelbach

  7. Darf man vor Kindern lügen?
    Chris | Freitag,August 12.2016

    So wenig Lügen, wie möglich, da stimme ich mit Ihnen überein. Trotzdem handelt man als Erwachsener manchmal unrecht. In größter Not und Eile, gehe ich als Fußgänger auch mal bei rot über eine Ampel. Wer nicht? In diesem Fall muss das Kind ertragen, das Erwachsene manchmal Ausnahmen von Regeln machen. Erwachsenen dürfen das auch, denn sie können die Verantwortung dafür übernehmen. Auch das ist für vierjähige nicht einfach zu verstehen. Aber es ist nun mal so. Auch hier gilt: Flunkern und Regeln brechen, nur in Ausnahmen. Wir wollen ja das Kinder an moralische Grundsätze glauben.

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