„Ständig kommt Mama ins Zimmer, wenn die Freunde zu Besuch sind und löchert sie mit Fragen. Beim Einkaufen reißt sie ständig meine Umkleidekabine auf – anscheinend, um der ganzen Welt zu zeigen, wie ich in Unterwäsche aussehe. Dann knutscht sie mich in aller Öffentlichkeit ab und ich muss ihr zum zehnten Mal erklären, wie sie ihr Smartphone bedient.
Papa ist aber auch nicht besser. Der kann seine schlauen Tipps und Nörgeleien keine Minute für sich behalten und möchte mir im Restaurant immer noch den Kinderteller bestellen. Außerdem kann er es nicht lassen, mich jeden Morgen direkt vor den Schuleingang zu fahren, wo alle anderen schon auf mich warten, während er diesen nervigen Charthit lauthals mitsingt.“
Versuchte Abnabelung – Eigenständig oder anhänglich?
Vor dem Grundschulalter war es noch relativ einfach: Das Kind ist abhängig von seinen Eltern und lebt das auch aus. Die Eltern kümmern sich gern. Mit steigendem Kindesalter wird das komplizierter. Das Kind möchte sich distanzieren und selbstständiger werden.
Die Abgrenzung und eine unabhängige Perspektive auf Handlungen der Eltern vollziehen sich aber über viele Jahre und können bis ins Erwachsenenalter hinein andauern. Während die Kinder also mit ihrem eigenen Dilemma kämpfen, bleiben gerade Eltern von Grundschulkindern lieber fürsorglicher als an Umsicht zu sparen.
Der Nachwuchs möchte ein eigenes Naturell entfalten, fühlt sich aber noch eng mit den Elternpersönlichkeiten verbunden: Das heißt, Eltern werden peinlich. Dieser Konflikt ist unvermeidbar.
Kindliche – bewusste oder unbewusste – Gedankengänge vollziehen sich in einfacheren Schritten. Die Herausbildung einer Individualität durch Abgrenzung beginnt daher in offensichtlicher, also körperlicher Form. Liebkosungen in der Öffentlichkeit sind oftmals ein Fauxpas. Wenn Eltern diese Grenze gegen den Willen ihres Kindes überschreiten, bedeutet das für sie die Darstellung von Schwäche und Unselbstständigkeit.
Verhaltenstipps für Eltern
In Kindern steckt mehr vom Erwachsenen als gedacht. Beispielsweise wird niemand gern öffentlich kritisiert. Fälschlicherweise meinen Erwachsene oft, sie könnten dies ungenierter bei Kindern tun als bei Gleichaltrigen. Tatsächlich wäre es auch Erwachsenen unangenehm, vor vielen Menschen auf Fehler hingewiesen und verbessert zu werden. Bei Kindern wirken solche Tipps und Nörgeleien schwächend für das Selbstwertgefühl. Seien Sie stattdessen stolz auf die Kleinen und zeigen Sie das nach außen.
Eine andere ganz selbstverständliche erwachsene Eigenschaft ist der Wunsch, ein guter Gastgeber zu sein. Wenn der Nachwuchs Besuch hat, behandeln Sie die Freunde wie Ihre eigenen. Die würden Sie auch nicht erziehen oder ohne deren Einvernehmen nach privatesten Details fragen. Ihre Kinder möchten, dass die Freunde wieder kommen, also funken Sie nicht ungefragt dazwischen.
Um die Imagebildung der Kinder nicht zu untergraben, verlagern Sie Abschiedsszenen und Schmusestunden besser zukünftig nach Hause, wenn Ihr Nachwuchs das wünscht. Akzeptieren Sie die neue Distanz, aber verdeutlichen Sie auch, dass Sie da sind, wenn Kuschelbedarf besteht.
Die starke Abhängigkeit von Mama und Papa zeigt sich für Kinder neben körperlicher Zuneigung auch in großer Fürsorge. Wenn Ihr Kind das Pausenbrot mal hat liegen lassen, müssen Sie es nicht zwangsläufig hinterhertragen. Das würde vor allen Klassenkameraden peinlich und unselbstständig wirken. Ihr Kind wird nicht verhungern und außerdem lernen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.
Die offensichtliche Abnabelung geschieht auch über das Aussehen und Verhalten Ihrer Sprösslinge. Es bringt also keine engere Bindung, wenn Sie beginnen, die Jugend zu imitieren. Damit erreichen Sie eher das Gegenteil. Lassen Sie diese Abgrenzung zu und bleiben Sie selbst authentisch. Das hat die beste Vorbildfunktion für Ihre Kinder.