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Diskriminierende Sprache in Kinderbüchern

Interview mit Sandra Richter von Kinderwelten.net

Die Geschichtsbücher neu schreiben“ ist eine bekannte Wendung – „Kinderbücher neu schreiben“ weniger. Sandra Richter von Kinderwelten.net sprach mit uns über die Macht der Sprache.

Bücher wie „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler oder Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“-Geschichten werden nun sprachlich variiert; Bezeichnungen wie „Neger“, „Negerlein“ oder „Negerkönig“, ersetzt. Dazu traf der Verlag bereits Absprachen mit Familie Preußler, die die Änderungen akzeptiert.

Sandra Richter von Kinderwelten.net ist eine klare Befürworterin dieser Maßnahmen, vor allem mit Hinblick auf die Kinder, die durch derlei diskriminierende Wörter betroffen sind. Ihrer Meinung nach sollte es „in der aktuellen Diskussion […] vielmehr um ‚menschliche Korrektheit‘ im Sinne von Humanität und einen sensiblen, sachlich korrekten Sprachgebrauch gehen, der der Veränderung unserer Gesellschaft Rechnung trägt und es einem jeden Kind ermöglicht, in einer von Wertschätzung und Achtung geprägten Umwelt aufzuwachsen.“

Wörter als Zeichen ihrer Zeit?

Speziell bezogen auf den erwähnten rassistischen Begriff hält Richter fest, dass „das benutzte Wort zur Zeit der Entstehung der Bücher bereits im gleichen Maß rassistisch war wie heute. Allerdings war Rassismus damals (noch) massenkonformer als er es heute ist. Das Werk eines Buchautors/einer Buchautorin beschreibt immer auch die ihn/sie umgebende Welt, die zu ebendieser Zeit geprägt war von der bewussten oder auch unbewussten Diskriminierung von Menschen, die nicht in die mehrheitsgesellschaftlichen Normvorstellungen eingefügt werden konnten.“

Die Rolle der Autoren

Richter schließt aus dem „unsensiblen und unreflektierten“  Sprachgebrauch der Autoren und Autorinnen deren Verstrickung in damalige rassistische Normvorstellungen. Indem sie diese in ihren Geschichten für Kinder reproduzierten, unterließen sie eine kritische Positionierung, die aber gerade in der Verantwortung von Kinderbuchautoren und –autorinnen läge, denn schließlich nähren diese mit ihren Geschichten Welt- und Menschenbilder und nehmen so Einfluss auf die Bilder, die Kinder von sich selbst und von anderen Menschen entwickeln.  In ihrer öffentlichen Rolle als MeinungsbildnerInnen wäre es ihre Pflicht, humanistische Werte zu vertreten und diskriminierenden Einordnungen eine klare Absage zu erteilen.

Rechtfertigungsversuche

„Sprache ist ein Kulturgut. Bücher haben ein Urheberrecht.“ In dieser Weise argumentiert die Gegenseite, die die ursprünglichen Begriffe in den Kinderbüchern belassen möchte. Alternative Vorschläge kommen von Autoren wie Christine Nöstlinger, die  über eine Art Glossar mit Erklärungen der historischen Zusammenhänge nachdenkt.
Richter von Kinderwelten hält dagegen: „Wem dient der Erhalt rassistischer Begriffe in Kinderbüchern wozu? […] Gebrauchsliteratur wurde schon immer sprachlich angepasst. Dass nun die Änderung des N-Wortes solche Aufregung verursacht, ist bezeichnend für unsere Gesellschaft. […] Bücher an die Entwicklung einer Gesellschaft anzupassen und damit für die in ihr lebenden Kinder gleichermaßen lesenswert zu machen, sollte Vorrang vor dem Erhalt der sogenannten „Werktreue“ haben.“

Zwar können Schulkinder die Wandlung des Sprachgebrauchs sicher nachvollziehen und kritisch hinterfragen, wenn sie dabei von Erwachsenen begleitet werden. Doch ist häufig erstens die Begleitung der Kinder nicht gegeben und außerdem eröffnet sich dieser Erkenntnisprozess für Kleinkinder noch nicht.

Vorurteilsbewusste Sprache als Lösungsansatz

Mit einem Kinderbuch öffnet sich für die Jüngsten ein erstes Bild der Welt: „Die Forschung zeigt deutlich, dass junge Kinder Vorurteile und Stereotype über sich und andere Menschen übernehmen, weil sie sich die Welt erklären wollen.“ Die Kraft der Sprache sollte laut Richter nie unterschätzt werden, denn „Sprache konstituiert Wirklichkeit“. Nötig sei daher ein vorurteilsbewusster Umgang mit Sprache, wie er in den Fortbildungen der Fachstelle KINDERWELTEN mit pädagogischen Fachkräften entwickelt und eingeübt wird.

Ihrer Meinung nach sollte im Gespräch mit den Autoren oder deren Familie über Alternativen nachgedacht werden, die anschließend in neuen Auflagen umgesetzt werden. „Verlage, die Zivilcourage besitzen, [werden] Bücher mit eindeutig rassistisch-diskriminierenden Inhalten nicht mehr […] verlegen.“
Für Eltern und Erzieher gibt sie Tipps für moralisch vertretbare Literatur an die Hand: Beispiele für vorurteilsbewusste Kinderbücher finden Sie in der Bücherkiste und Empfehlungsliste der Fachstelle.

Über Kinderwelten.net

Die Fachstelle KINDERWELTEN für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung im Institut für den Situationsansatz/ Internationale Akademie gGmbH an der Freien Universität Berlin ist 2011 aus drei großen Kinderwelten-Projekten hervorgegangen, die seit 2000 von der Bernard van Leer Foundation unterstützt wurden.  Die Fachstelle bietet Fortbildungen, Beratung, Materialien und Tagungen zum Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung an, der auf der Grundlage des amerikanischen Anti-Bias-Approach entwickelt wurde und in Kitas, Grundschulen und Fachschulen für Sozialpädagogik Anwendung findet.



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