Von Familienmitgliedern und Freunden, die Eltern sind, hört man oft Geschichten wie diese: „Da ich nicht weit von unserer Grundschule entfernt wohne und meistens von zuhause aus arbeite, bekomme ich häufig einen Anruf von einem meiner Kinder, um ihnen etwas, das sie vergessen haben, in die Schule zu bringen. Das Mittagessen, Bücher und einmal sogar neue Schuhe, weil die alten beim Spielen kaputtgegangen sind. Immer wenn ich eine der Nummern auf meinem Handy sehe, habe ich die Möglichkeit, meine Kinder zu ‚retten‘ oder auch nicht. Das Schwierige daran für mich und viele andere Eltern ist die Entscheidung, wann ich zu Hilfe eilen soll und wann ich meine Kinder ihre eigenen Erfahrungen samt Konsequenzen machen lassen soll.“
Eltern sind in der Verpflichtung, ihren Kindern die notwendigen Tools an die Hand zu geben, um Probleme eigenständig lösen zu können. Hierzu zählt auch das gesunde Setzen von Grenzen und sie müssen lernen, dass ihre Handlungen im Leben immer Folgen nach sich ziehen werden. Aber man sollte ihnen auch vermitteln, dass sie Fehler machen dürfen – auch im echten Leben.
Alles in der Welt hat natürliche Konsequenzen und wenn man Kinder diese Erfahrungen machen lässt, dann können sie verantwortungsbewusst lernen. Manchmal wird das Buch für den Unterricht vergessen und es gibt kein anderes. Manchmal muss man in die Schulkantine, obwohl man lieber das selbstgemachte Lunchpaket essen würde, das aber zu Hause liegt. Manchmal können Mama und Papa da sein, um zu helfen, und das ist auch ok. Wo liegt jedoch die Grenze zwischen zu viel Hilfe und zu wenig? Lesen Sie hier, was andere Eltern sowie Experten aus dem Bereich Kindererziehung zu sagen haben.
Die meisten Eltern wissen nicht genau, wann sie ihren Kindern helfen sollen
Es scheint, als ob viele Eltern nicht genau wissen, ob sie ihren Kindern helfen oder sie dazu bringen sollten, Verantwortung zu übernehmen – das führt zu einem internen Konflikt. Nicole ist Mutter von zwei Kindern und erinnert sich daran, dass sie ihre Teenager-Tochter teilweise mehrmals am Tag ‚retten‘ musste, weil diese ihre Sachen vergessen hatte und Gefahr lief, anderenfalls Probleme in der Schule zu bekommen. Sie sagt: „Ich konnte das damals und habe es daher einfach gemacht. Mir war wichtiger, dass sie wusste, dass ich für sie da war, anstatt dass sie lernt, nichts zu vergessen.“
Die Aussage von Nicole, dass sie helfen konnte, ist zentral, denn seinem Kind gelegentlich zu Hilfe zu eilen ist nicht dasselbe, wie alles stehen und liegen zu lassen und sofort da zu sein, wenn das Kind darum bittet. An manchen Tagen können Eltern einspringen – an anderen Tagen geht es eben nicht.
Wie Sie am besten in solchen Situationen reagieren sollten, ist auch abhängig vom Alter Ihrer Kinder. Stefanie ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern und sagt, dass sie ihren Kindern, als sie klein waren, häufig geholfen hat. Manchmal hat sie sich Gedanken darüber gemacht, welche Botschaft sie damit vermittelt, aber letztendlich kam sie zu dem Schluss, dass ihre Unterstützung wichtiger war, als ihnen eine Lektion zu erteilen.
„Ich habe regelmäßig für sie Bücher in die Bücherei zurückgebracht und Sportsachen sowie ihre Brillen zu meinen Kindern gebracht“, fügt sie hinzu. „Ich bin überzeugt davon, dass ich irgendwie ein gesundes Sicherheitsgefühl für sie geschaffen habe. Nach dem Motto: Ich kann selbst zurechtkommen, aber meine Mama ist immer zur Stelle, wenn es ihr möglich ist. Ich möchte nicht, dass meine Kinder denken, ich hätte ihnen helfen können und hätte mich bewusst dagegen entschieden.“
Indem man Kindern zeigt, dass sie sich auf ihre Eltern verlassen können, schafft man für die Zukunft auch Raum für offene Gespräche miteinander. Wenn die Teenager später beispielsweise auf einer Party sind, aber keinen nüchternen Fahrer haben, dann erinnern sie sich vielleicht daran, dass die Eltern in Situationen, in denen es darauf ankam, immer da waren. Dieses Vertrauen zwischen Eltern und Kindern baut sich mit der Zeit auf und wächst nicht einfach so aus dem Nichts, sobald sie im Partyalter sind.
Dennoch ist es wichtig, dass Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen und wichtige Lektionen für’s Leben erhalten. Wo sollen wir, wenn sie langsam erwachsen werden, die Grenze ziehen zwischen dem Lösen von Konflikten für unsere Kinder und dem Übernehmen von Eigenverantwortung für ihre Fehler? Laut Experten geht beides.
Experten empfehlen einen ausgewogenen Ansatz, um Kindern Verantwortungsbewusstsein zu vermitteln
Eltern sollten sich Gedanken darüber machen, was genau sie als ‚ihre Kinder retten‘ bezeichnen. Vielleicht ist etwas, das wir selbst als unnötige Rettung ansehen, genau das, was das Kind gerade in seiner Entwicklung braucht. Mit ein wenig Abstand führt diese Frage eigentlich zu einem größeren Thema: „Wie kann ich die Entwicklung meines Kindes am besten unterstützen?“
Eine gute Orientierungshilfe ist es, sich das Gesamtbild anzuschauen und sich selbst die Frage zu stellen, was das Kind mit seiner Bitte um Hilfe wirklich braucht. Denn manchmal kann man seine Kinder mit etwas Hilfe unabhängiger und verantwortungsbewusster machen, da man ihnen zeigt, dass sie geliebt werden und dass man für sie da ist. Allerdings sollte man in einer schwierigen Situation nicht einfach einspringen und das Ruder herumreißen, sondern dem Kind zur Seite stehen und ihm zeigen, dass die Eltern in schwierigen Situationen immer da sein werden.
Dabei sollte man das Muster und die Absicht hinter den Handlungen des Kindes nicht aus den Augen verlieren. Wenn Ihr Kind einmal vergisst, seine Hausaufgaben einzupacken, dann sollte man das nicht zu eng sehen, sondern genauso nachsichtig sein, wie man es selbst erwarten würde, wenn man mal seine Aktentasche zu Hause liegen lässt. Fehler passieren und Nachsichtigkeit in solchen Situationen zeigt Kindern, dass niemand perfekt ist.
Wenn Kinder jedoch Tag für Tag ihre Aufgaben vergessen, dann ist das etwas anderes, denn in einem solchen Fall ist Rettung nicht die richtige Antwort. Dann braucht es konkrete Aktionen, indem man gemeinsam Lösungen sucht, Erinnerungshilfen einrichtet, einen Planer verwendet und auf diese Weise dafür sorgt, dass das Kind selbstständig an seine täglichen Aufgaben denkt.
Tipps von Profis, um Kindern Eigenverantwortung beizubringen
1. Gehen Sie auf Ihr Kind ein
Kinder eignen sich lebenspraktische Fähigkeiten mit der Zeit an. Die Lebensumstände, das Alter, das Entwicklungsstadium und die kognitiven Kompetenzen eines Kindes sollten berücksichtigt werden, um ihm dabei zu helfen, Selbstverantwortung zu erlernen. Ein 5-Jähriger hat nicht dieselben Fähigkeiten wie ein 12-Jähriger, aber auch zwei 12-Jährige können abhängig von ihrem Entwicklungsstadium sehr unterschiedliche Fähigkeiten haben. Eltern sollten jedoch immer darauf achten, dass ihre Kinder mit der Zeit unabhängiger und eigenverantwortlicher werden.
2. Bringen Sie Ihren Kindern nach und nach Eigenverantwortung und Unabhängigkeit bei
Für seine Kinder einzuspringen, kann man auch positiv bewerten: als eine Möglichkeit, sein Kind bei der Entwicklung seiner eigenen Kompetenzen zu unterstützen, und nicht nur als schnelle Lösung für ein Problem. Dabei kann man an eine Art Gerüst denken. Das heißt, man baut gemeinsam mit dem Kind an einer Struktur, die mit zunehmendem Alter wächst. Zunächst muss man seinem Kind vielleicht noch viel unter die Arme greifen, aber irgendwann kann es dann die notwendige Selbstverantwortung übernehmen, um ein ähnliches Problem allein zu lösen.
3. Üben Sie „ich mache, wir machen, du machst“
Geben Sie Ihrem Kind eine Rolle beim Lösen von Problemen, selbst wenn es Ihre Hilfe braucht. Bestimmen Sie einen oder zwei Bereiche, in denen es unabhängig sein und sicher wachsen kann. Dabei hilft das Konzept „Ich mache, wir machen, du machst“, denn so lernen Kinder, dass sie, selbst dann, wenn die Eltern eingreifen, noch stets Eigenverantwortung in ihrem Bereich übernehmen können, um zu einer Lösung zu kommen. Beispielsweise kann gemeinsam mit dem Kind ein Hausaufgabenplaner angelegt werden, in den das Kind täglich in Eigenverantwortung einen Blick wirft.
4. Sich Hilfe holen
Wenn ein Kind immer mit denselben Problemen kämpft, liegt möglicherweise eine Entwicklungsstörung oder ein gesundheitliches Problem zugrunde. Ihr Kinderarzt kann Ihnen dabei helfen zu ermitteln, ob Ihr Kind ein organisatorisches oder ein Konzentrationsproblem hat. Holen Sie sich auch Hilfe, wenn Ihr Kind unter Angst oder Depressionen leidet, was häufig mit Motivationsmangel oder fehlender Eigeninitiative einhergeht.
Fazit
Es ist unmöglich, beim Umgang mit unseren Kindern immer die richtigen Entscheidungen zu treffen. Experten zufolge ist es jedoch wichtig, dass die Eltern da sind, zuhören und auf die Bedürfnisse ihres Nachwuchses eingehen. Gleichzeitig ist es notwendig, das Entwicklungsstadium des Kindes zu berücksichtigen, um es entsprechend zu fördern und ihm die Möglichkeit zu geben, Eigenverantwortung zu übernehmen.
Natürlich können Eltern nicht immer alles richtig machen. Deshalb sollte man einen großen Vorrat an Mitgefühl haben, sowohl für sich selbst als Eltern als auch für sein Kind. Und ja, es ist absolut okay, ab und zu den Retter zu spielen.