1. In welcher Art Familie bist du selbst aufgewachsen?
Meine Eltern haben sich getrennt, als ich in die Schule kam und ich bin dann überwiegend bei meiner alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Das war vor 30 Jahren in dem bürgerlichen Umfeld in Hessen, aus dem ich komme, durchaus noch recht außergewöhnlich. Ich selbst habe das aber nie als Defizit wahrgenommen. Ich habe auch meine Konflikte mit meiner Herkunftsfamilie, habe sie im Großen und Ganzen aber immer als große Unterstützung wahrgenommen und wahrscheinlich unter anderem deshalb ein überwiegend positives Bild vom Konstrukt „Familie“ und das Bedürfnis den Zusammenhalt und die Unterstützung, die ich erfahren habe, weiterzugeben.
2. Wann ist bei dir der Wunsch nach eigenen Kindern entstanden?
Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich das erste Mal darüber nachgedacht habe, Kinder haben zu wollen. Das erschien für mich lange Zeit selbstverständlich. Wenn man groß wird, gründet man irgendwann eine eigene Familie und bekommt Kinder. Irgendwann mit Mitte 20 bin ich dann auf die Idee gekommen, dass das vielleicht nicht nach einem vorgegebenen Schema ablaufen müsste und ich mir selbst darüber Gedanken machen kann, wie ich leben möchte. Dass ich gerne Verantwortung für Kinder übernehmen möchte, ist dabei als Wunsch übriggeblieben – besonders in einer Gesellschaft, in der sich viele Männer davor drücken, diese Verantwortung zu übernehmen.
3. Wie hat sich das Familienkonstrukt, in dem du jetzt lebst, entwickelt? Wie entstand deine Familie?
Als meine damalige Freundin ungeplant schwanger wurde, haben wir überlegt, unter welchen Umständen wir uns vorstellen können, dieses Kind zu bekommen. Wir haben uns dann entschieden, dass wir trotz Liebesbeziehung nicht zusammenziehen möchten, dass das Kind zu mir ziehen soll und ich für 12 Monate in Elternzeit gehe. Irgendwann viel später ging die Beziehung zu Bruch. Ich wollte gerne ein zweites Kind und hatte die Idee, dass es doch vielleicht einfacher wäre, Paarbeziehung und Eltern-sein voneinander zu trennen. Zusammen mit einer Freundin, die nicht meine Partnerin ist, habe ich weiter darüber nachgedacht und schließlich haben wir uns dazu entschlossen, gemeinsam ein Kind zu bekommen. Auch ihre damalige Partnerin ist Mutter unserer gemeinsamen Tochter und wir verstehen uns als drei gleichberechtigte Elternteile. Mittlerweile sind meine Kinder 9 und 3 Jahre alt und leben etwa zur Hälfte bei mir und zur Hälfte bei ihren jeweiligen Müttern. So, das war jetzt in einem Absatz eine kurze Abhandlung eines Entwicklungsprozesses meiner letzten 10 Jahre und sicherlich fehlen noch ganz viele Gedanken und Aspekte, die eine Rolle dabei spielen, dass meine Familie so geworden ist, wie sie ist.
4. Wie erklärt ihr euren Kindern euer Familienmodell?
Für meine Kinder ist die Familie, in der sie groß werden, völlig selbstverständlich. Wenn andere Kinder oder Erwachsene beispielsweise sagen, dass es nicht möglich sei, zwei Mütter zu haben, sind sie sich sicher, dass sie selbst im Recht sind. Sie haben zuhause ja den lebenden Beweis, dass es möglich ist. Wir gehen den Kindern gegenüber offen mit den meisten Aspekten unseres Familienmodells um. Unsere Kinder kennen ihren eigenen Entstehungsprozess, wissen, dass wir uns sehr viele Gedanken darüber machen, wie wir als Familie zusammenleben möchten und wissen auch, dass wir uns sehr auf sie gefreut haben bzw. darüber freuen, dass sie da sind. Meine große Tochter ist mittlerweile manchmal genervt, dass sie sich und ihre Familie immer wieder erklären muss und manche Menschen immer wieder erstaunt sind, dass Familien unterschiedlich sind.
5. Wie reagieren Menschen in deinem Umfeld auf eure Familie? Habt ihr euch jemals diskriminiert gefühlt? Wenn ja, in welcher Situation? Wie seid ihr damit umgegangen? Und wer steht euch zur Seite, wenn ihr einmal nicht weiterwisst?
Die Bandbreite an Reaktionen auf uns und unsere Familie ist sehr groß. Es gibt großes Interesse an unserem Familienmodell und auch viele Familien, die ebenfalls versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen und mit denen wir uns immer wieder darüber austauschen. Es gibt aber auch leider noch immer viele Menschen für die das eigene Lebensmodell das einzig mögliche Lebensmodell ist. Uns begegnet deshalb leider auch viel Ablehnung. Ich bekomme sehr viele Hassnachrichten von Menschen, die mir beispielsweise erklären wollen, dass meine Familie für den Untergang des Abendlandes verantwortlich ist. In persönlichen Begegnungen trauen sich nicht so viele Menschen, uns ihre Ablehnung ins Gesicht zu sagen. Wir hatten aber unter anderem auch schon einen Erzieher in unserer Kita, der mit Blick auf unsere Familie meinte, dass er unterschiedliche Familienkonstellationen nicht als gleichwertig betrachtet. Der Umgang mit solchen Anfeindungen ist nicht immer einfach und es gibt leider kein Patentrezept. Viele Kämpfe müssen in jeder Situation wieder neu geführt werden.
6. Auf einer Skala von 0 bis 10: Wie sehr empfindest du dein Familienmodell als von der Gesellschaft akzeptiert?
(0 = überhaupt nicht akzeptiert, 10 = vollständig akzeptiert)
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Ich sehe in der Breite der Gesellschaft leider keine große Offenheit gegenüber vielfältigen Familienkonstellationen. Auch auf rechtlicher Ebene wird unsere Familie nicht anerkannt. Der Staat verbietet es uns, rechtlich zu dritt Eltern unseres Kindes zu sein. Wir müssen uns ständig Fragen stellen (lassen), über die viele Familien in ihrem gesamten Leben noch nie nachgedacht haben. Gleichzeitig werden uns unsere Erfahrungen immer wieder abgesprochen, weil die Gesellschaft gerne ihr Selbstbild einer offenen und pluralen Gesellschaft erhalten möchte. In diesem Selbstbild ist kein Platz für genervte queere Familien, die sagen, dass nicht alles in Ordnung ist. Das kostet alles sehr viel Energie. Ich weiß auch gar nicht, ob „Akzeptanz“ das richtige Wort ist. Die Gesellschaft dürfte eigentlich gar nicht vor der Frage stehen, ob sie uns akzeptiert oder nicht. Wir sind Teil der Gesellschaft.
7. Was ist das Schönste an deiner Familie?
Ich könnte mir meine Familie nicht besser vorstellen. Ich würde allen Entscheidungen immer wieder so treffen. Und das Beste sind die beiden wundervollen und einzigartigen Kinder!
8. Was wünschst du dir für die Zukunft deiner Familie?
Ich wünsche mir für meine Familie das, was sich wahrscheinlich alle für ihre Familie wünschen: Dass wir noch lange glücklich zusammenleben. Ich freue mich sehr darauf, den Kindern weiter beim Großwerden zuschauen zu dürfen. Auf gesellschaftlicher Ebene erhoffe ich mir eine Entwicklung, in der vermeintliche Normalitäten in Frage gestellt werden und Vielfalt nicht als etwas, das akzeptiert werden muss, sondern als ein Wert an sich angesehen wird und dass sich möglichst viele unterschiedlichen Menschen und Familien am Aushandlungsprozess darum beteiligen können, wie wir unsere Gesellschaft gestalten.
Über Jochen König
Der Berliner Jochen König schreibt auf seinem Blog über Familie, Liebe und das Leben, über Väter und über die Aufteilung der Betreuungsarbeit. Seine Erkenntnisse darüber können im gleichnamigen Blog nachgelesen werden. Der Alltag mit zwei Töchtern bietet nämlich Stoff für zahlreiche Geschichten, wie zum Beispiel über Fußballcamps für Mädchen und auch über das Familienmodell Co-Parenting. Wer ihm folgen möchte, kann dies auf Twitter tun.
Liebe Elternblogger, macht mit!
Familie ist etwas Einzigartiges und sieht für jeden Menschen anders aus. Wir wollen wissen, wie das bei Euch ist. Deshalb rufen wir alle Elternblogger, die sich in unseren Interviews wiederfinden, auf: Meldet euch bei uns unter julia.schambeck@care.com! Erzählt uns von euren Familien, euren Erfahrungen und eurem kleinen persönlichen Glück.
Alle Leser ohne eigenen Blog können uns gern in einem Kommentar unter diesem Artikel erzählen, was ihre Familie für sie so einzigartig macht. Wir sind gespannt auf Eure Geschichten!
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