Was bedeutet Familie heute?
Die Familie als Institution um Ehe und Kinder hatte seine Blütezeit in den 1950er- und 1960er- Jahren. Mit der Entwicklung von Kommunen und der Besinnung auf freie Liebe verlagerten sich auch die Ideale in dieser Hinsicht. Seit 1968 sind Familienformen wieder vielfältiger geworden. Die gesellschaftliche Dominanz einer einzelnen Lebensform gilt rückblickend als historische Ausnahme.
Parallel zu heterogenen Familienformen wandeln sich auch die Leitbilder von Familie. Solche Familienleitbilder beinhalten Ansichten über die Definition der idealen Familie. Dazu zählt zuallererst die Frage nach der Personenkonstellation einer Familie. Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung hält bezüglich Familienformen fest, dass auch gegenwärtig der Großteil der Deutschen eine feste Beziehung als Voraussetzung für eine Familie ansieht. Gleichzeitig meinen knapp 60 Prozent der befragten 21- bis 60-Jährigen, dass eine feste Beziehung nötig sei, um glücklich zu sein.
Was macht das Leitbild der Familie von heute zudem aus? Die Qualität der Partnerschaft spielt ebenfalls eine tragende Rolle. Hier sind Ideale wie Exklusivität, Vertrauen, Dauerhaftigkeit, Liebe, Treue, Offenheit und Aufrichtigkeit sowie die wechselseitige, verlässliche emotionale, praktische und materielle Unterstützung von großer Bedeutung. Zugleich definieren sich die einzelnen Partner jedoch nicht über die Beziehung zueinander. Eine gewisse Unabhängigkeit voneinander wird ebenfalls angestrebt. Im Zentrum dieser idealen Partnerschaft steht schließlich das Kind als notwendiges Kriterium für den Begriff „Familie“.
Sicherlich existieren heutzutage auch noch weiter gefasste Familienleitbilder, die das Zusammenleben mehrerer Menschen ohne Kinder ebenfalls als Familie verstehen.
Deutschland kinderlos?
Welche Rolle aber spielen Kinder für junge Erwachsene aktuell in Deutschland? Fest steht, dass sich die überwiegende Mehrheit (85 Prozent) der jungen Menschen laut der Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung für eigene Kinder entscheiden möchte. Dennoch befindet sich Deutschland in einer Abwärtsspirale der Geburtenraten.
Während im Westen Deutschlands zwei Extreme dominieren – die Kinderlosigkeit gegenüber den Zwei- oder Mehrkinderfamilien – ist die Ein-Kind-Familie im östlichen Teil Deutschlands weiter verbreitet und Kinderlosigkeit eher selten.
Kinderlos bleiben vor allem höher qualifizierte Frauen: 2012 errechnete das Statistische Bundesamt, dass 30 Prozent der Akademikerinnen geplant oder ungeplant kinderlos sind. Der Trend geht dahin, Familien später zu gründen, lange zu planen, vielleicht zu zögern. Elternschaft scheint heute mehrere Voraussetzungen zu fordern. Das Leitbild der „verantworteten Elternschaft“ beschreibt diese Entwicklung. Daneben gehen Schätzungen davon aus, dass dennoch über ein Drittel aller Schwangerschaften ungeplant entsteht.
Zudem bestehen Familien häufiger nicht mehr auf Dauer, sondern werden zu temporären Lebenskonzepten.
Familienformen heute
- Trotz Trends in Richtung Pluralisierung der Lebensformen ist die Zwei-Kind-Familie inklusive verheirateter Eltern das am häufigsten vorkommende Familienmodell in Deutschland. 73 Prozent der Frauen mit Kind waren 2010 verheiratet. 1996 waren es noch 83 Prozent.
- Fast ein Fünftel der modernen Mütter gaben an, alleinerziehend zu sein und neun Prozent der Frauen mit Kind lebten 2010 in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.
- Bundesweit lebten nach dem Report „Familien in Baden-Württemberg“ 2012 etwa 0,05 Prozent aller Kinder mit gleichgeschlechtlichen Eltern zusammen. Der Großteil dieser Kinder lebt zusammen mit zwei Müttern, obwohl Männer drei Fünftel der homosexuellen Partnerschaften in Deutschland ausmachen.
- Einen größeren Teil machen sogenannte Patchwork- oder Stieffamilien aus. Verschiedene Datenquellen des Bundesfamilienministeriums stellten 2012 Anteile zwischen 6 und 13 Prozent heraus.
- 2012 wurden in Deutschland fast 4.000 Kinder adoptiert, wobei die Adoptionsrate rückläufig ist. Bei über 50 Prozent der Adoptionen nimmt ein Stiefelternteil das Kind des leiblichen Elternteils an. In drei Prozent der Fälle adoptieren direkte Verwandte, wie die Großeltern, weil die leiblichen Eltern nicht (mehr) für die Kinder sorgen können.
In Deutschland leben insgesamt 9,6 Millionen Menschen mit Behinderung. 165.254 davon sind Kinder und Jugendliche, deren Behinderung als schwer eingestuft wird. Zwar wird die Mehrzahl der Behinderungen im Laufe des Lebens erworben, während etwa vier bis fünf Prozent der Behinderungen von Geburt an auftreten. Eltern von besonderen Kindern sehen sich aber ebenfalls vor besondere Herausforderungen gestellt: Ein wichtiges Thema ist beispielsweise die Inklusion im Bildungsbereich.
Eine Herausforderung, die sicherlich alle Eltern meistern müssen, ist es, die Kinderbetreuung zu gewährleisten, die zu ihnen und ihrem Kind passt. Einige Familien setzen hier auch auf die regelmäßige Betreuung durch eine Bezugsperson, die die Eltern im Alltag unterstützen kann: (Granny-) Au-pairs, Leihomas und Tagespflegeeltern werden gebraucht. Die Bundesregierung fördert hierzu auch beispielsweise sogenannte Mehrgenerationenhäuser, in denen Jung und Alt zusammenkommen, voneinander lernen und aufeinander Acht geben.
Die immer weiter ausdifferenzierten Familienformen fordern die deutsche Familienpolitik, deren Aufgabe es zukünftig sein wird, flexiblere Regelungen zu finden. Möglichst wenige Voraussetzungen und viele Freiheiten zur individuellen Gestaltung des Privatlebens werden zur Devise.
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Quellen:
- Diabaté, Sabine; Lück, Detlev; Schneider, Norbert F.: Familienleitbilder in Deutschland. Ihre Wirkung auf Familiengründung und Familienentwicklung. Hrsg. von Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Christine Henry-Huthmacher. Sankt Augustin: 2014.
- BiB Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.): (Keine) Lust auf Kinder? Geburtenentwicklung in Deutschland. Wiesbaden: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2012.
- Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg (Hrsg.): Familien in Baden-Württemberg. Stuttgart: Onlinepublikation 2013.
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Stief- und Patchworkfamilien in Deutschland. Monitor Familienforschung. Beiträge aus Forschung, Statistik und Familienpolitik. Berlin: 2013.