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Lügen im Vorstellungsgespräch

Der Begriff Bewerberfaking beschreibt eine der Realität nicht entsprechende Darstellung seiner selbst im Vorstellungsgespräch. Arbeitspsychologe Clemens Fell forscht auf diesem Feld und fand heraus, wie verbreitet das Phänomen ist.

Wie wird geflunkert?

Laut Ergebnissen des Arbeitspsychologen Fell flunkert die Mehrheit der deutschen Bewerber während des Vorstellungsgesprächs. Dazu gehören Aussagen, die die negativen Seiten der Person herunterspielen oder die positiven besonders betonen. Auch wird gern ein starkes Interesse dort hervorgehoben, wo kaum welches ist. Besonders einfach sind derartige Aussagen bei schriftlichen Persönlichkeitstests aufzubauschen. Ein Kreuz weiter links oder rechts ist schnell gesetzt.
Damit sind die ehrlichen Bewerber in der Minderheit und Deutschland mit diesem Resultat im internationalen Mittelfeld angesiedelt. In den USA beispielsweise wird noch weitaus mehr geschummelt.

Wie weit darf Selbstpräsentation gehen?

Doch zwischen Flunkern und Lügen liegt ein beträchtlicher Unterschied. So ist die Fälschung von Urkunden und Zeugnissen schlichtweg strafbar. Doch dies kommt, so Fell, auch weniger häufig vor. Für ihn entscheidend ist der Kern einer Aussage, die während des Jobinterviews oder im Lebenslauf gemacht wird: Ist noch ein Funken Wahrheit enthalten oder ist sie vollkommen erdacht?
Fremdsprachenkenntnisse zum Beispiel sollten nicht komplett aus der Luft gegriffen sein. Wenn aber einmal eine Sprache gelernt wurde, die gegenwärtig etwas eingerostet ist, enthält die Erwähnung dieser Kenntnisse einen wahren Kern. Es geht hier also eher um Übertreibung statt um faustdicke Lügen.

Vorstellungsgespräch ist Verkaufsgespräch

Jeder Bewerber, der im Bewerbungsgespräch absolut ehrlich redet, kann sich am Ende sicher sein, dass er der Geeignetere für die Stelle ist, wenn er sie bekommt. Das ist eine Lehre, die Fell aus den Ergebnissen seiner Studie zieht. Schließlich wird bei der Personalauswahl normal eine möglichst passgenaue Zuordnung angestrebt.
Und auch das Faking ist kein durchweg negativ zu bewertender Begriff. Fell nutzt ihn vielmehr im Sinne der Selbstpräsentation und sieht diese als ein funktionales und adaptives Verhalten an. Letztendlich, meint er, sei ein Vorstellungsgespräch „keine Beichte, sondern ein Verkaufsgespräch“.

Dieses Umstands sind sich die Personaler ebenso bewusst. Sie können Aussagen durch Nachfragen mit Bezug auf vergangene Situationen überprüfen oder schriftliche, psychologische Tests mit ihren Bewerbern durchführen. Als am sinnvollsten erachtet Arbeitspsychologe Fell mehrstufige Prozesse wie Assessment-Center, die eine Beobachtung des Bewerbers in praktischen Situationen zulassen.
Doch letztlich hält auch er fest: Sicher ausschließen lässt sich das Bewerberfaking aus Arbeitgebersicht nie. Besondere Bedeutung hat diese Feststellung für internationale Unternehmen, denn die kulturell unterschiedlichen Wertegewichtungen beeinflussen die Gespräche.

Studie von Clemens Fell zum Bewerberfaking

Für die Studie von Clemens Fell wurden Studenten und Absolventen mit Berufserfahrung über ihr letztes Vorstellungsgespräch befragt. Momentan überwacht er eine Vergleichsstudie, die genauere Informationen um die internationalen Unterschiede in 31 Ländern zutage fördern soll. Von Fell bereits vorab vermutete Indikatoren sind die unterschiedliche gesellschaftliche Bedeutung von Bescheidenheit und die Ausprägung der Arbeitslosigkeit.

 



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